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Kritik an geplanter Aufzeichnung von Strafprozessen

„Für die Opfer von Straftaten stellt das Vorhaben eine große Gefahr dar. Es droht eine erneute Traumatisierung durch die Aussage vor Kameras und die unbefugte Weitergabe von Videoaufnahmen.“

Im Mittelpunkt eines Gedankenaustausches zwischen dem WEISSEN RING und dem hessischen Justizminister Prof. Dr. Roman Poseck stand am 21.03.2023 das Vorhaben der Bundesregierung, Hauptverhandlungen in größeren Strafverfahren zukünftig auf Video aufzuzeichnen. Für den WEISSEN RING haben der neue Bundesvorsitzende Dr. Patrick Liesching und die Bundesgeschäftsführerin Frau Bianca Biwer an dem Gespräch teilgenommen. Es bestand Einvernehmen darüber, dass die Opfer von Straftaten besonderen Schutz sowie tatkräftige Unterstützung benötigen und ihre Interessen im Strafverfahren daher von zentraler Bedeutung sind. Aus diesem Grund warnen der Bundesvorsitzende des WEISSEN RINGS und der hessische Justizminister vor der geplanten Videoaufzeichnung der Hauptverhandlung. Beide erklärten nach dem Gespräch:

„Für die Opfer von Straftaten ist die Vernehmung in der Hauptverhandlung schon heute meistens eine große Belastung. Dies wird sich noch verschärfen, wenn ihre Aussagen zukünftig aufgezeichnet werden. Denn Menschen reagieren vor Kameras anders, zumeist ängstlicher. Zudem besteht die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der Aufnahmen durch andere Verfahrensbeteiligte. Für die Opfer von Straftaten stellt das Vorhaben daher eine große Gefahr dar. Es droht eine erneute Traumatisierung durch die Aussage vor Kameras und die unbefugte Weitergabe von Videoaufnahmen. Im Netz könnten die Aufnahmen einem grenzenlosen Kreis zugänglich gemacht werden und das auch noch längere Zeit nach der Hauptverhandlung“, führten Roman Poseck und Patrick Liesching aus.

Justizminister Roman Poseck, WR-Bundesgeschäftsführerin Bianca Biwer und WR-Bundesvorsitzender Patrick Liesching (v.l.n.r.), Foto: HMdJ

„Selten hat ein rechtspolitisches Vorhaben die Belange von Kriminalitätsopfern derart unberücksichtigt gelassen, wie der vom Bundesjustizministerium vorgelegte Referentenentwurf. Menschen, die unverschuldet Opfer geworden sind, werden sehenden Auges Belastungen und Gefährdungen ausgesetzt, obwohl ein nennenswerter Gewinn für die Wahrheitsfindung von der Videoaufzeichnung nicht zu erwarten ist. Im Gegenteil: es ist leicht vorherzusehen, dass sich die Qualität von Zeugenaussagen dadurch erheblich verringern wird“, sagte Patrick Liesching.

„Die Justiz lehnt das Vorhaben des Bundesjustizministers einhellig ab. Auch die Präsidentinnen und Präsidenten aller Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofes haben eindringlich gewarnt und Anfang März in einem einstimmigen Beschluss hervorgehoben, dass das Vorhaben alle drei Maximen des Strafprozesses gefährde: die Wahrheitsfindung, die Gerechtigkeit und den Rechtsfrieden. Das eindeutige Votum der Praxis muss Beachtung finden. Zu der Beeinträchtigung der Opferinteressen und der Maximen des Strafverfahrens käme im Übrigen eine erhebliche personelle und finanzielle Zusatzbelastung der Justiz hinzu. Hessen geht insoweit von einem Bedarf an geschätzt mindestens 92 zusätzlichen Arbeitskräften aus. Hierfür und für Wartungs- und Schulungskosten dürften geschätzt rund 6,3 Millionen Euro jährlich anfallen. Hinzu kommen zusätzliche Einmalkosten in Höhe von rund 6 Millionen Euro an Anschaffungs- und Bauaufwand. Es wäre ein großer Fehler, die Justiz gerade jetzt in diesem Maße personell und finanziell zu belasten. Nicht Belastung, sondern Entlastung ist das Gebot der Stunde“, führte Roman Poseck abschließend aus.

Text: Pressestelle des HMdJ

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