Fulda. Beleg der engagierten ehrenamtlichen Tätigkeit für die Belange des Opferschutzes war auch in diesem Jahr wieder die Landestagung des WEISSEN RINGS Hessen, veranstaltet im Hotel "Holiday Inn" in Fulda. Fachvorträge zu sensiblen opferschutzrelevanten Themen wie das "Opfertelefon" (Referentin: Christine Leuninger) und dem immer wieder medial im Fokus stehenden "Ehrenmord" (Referentin: Dr. Carina Agel) und dann insbesondere am zweiten Veranstaltungstag die Sondervorführung des preisgekrönten Films "Beyond Punishment" in Anwesenheit des Regisseurs Hubertus Siegert im "Kino Cinestar" orientierten sich bestens an den von vorbildlicher Empathie für die Kriminalopfer zeugenden Aktivitäten der Ehrenamtlichen. Mehr noch: sie alle boten den rund 100 Tagungsteilnehmern der Außenstellen des WEISSEN RINGS eine Fülle von Anknüpfungspunkten, die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Kriminalitätsopfer-Unterstützungen und -Hilfeleistungen zu diskutieren und vor allem resümierend aktualisierte Weichenstellungen im Sinne des Schutzes der Opfer vorzuschlagen. Geleitet wurde die Veranstaltung in Vertretung des Landesvorsitzenden Horst Cerny von dessen beiden Stellvertretern, Ulrich Warncke (Oberursel) und Dr. Patrick Liesching (Fulda) - siehe Foto rechts. Landesvorsitzender Horst Cerny, zudem auch Bundesverdienstkreuzträger, hatte in eigener Sache der Versammlung vorab mitgeteilt, dass er sich dringend einer Hüft-OP unterziehen müsse. Nach erfolgreich verlaufener OP befindet sich Cerny derzeit in der Rehabilitation. Dessen ungeachtet ließ er es sich nicht nehmen, den Tagungsteilnehmern eine sympathische Grußbotschaft via Video zu übermitteln. Auf Weisung von Horst Cerny hat Elfi Schütz, Büroleitung im Landesbüro Hessen, ihn in der Reha in Bad Salzschlirf besucht und mit Kamera und I-Pad den gelungenen Video erstellt. Cerny, im Vorjahr erneut für vier Jahre mit eindrucksvollem Ergebnis als Landesvorsitzender bestätigt, sprach in der Videobotschaft auch die von ihm vorbereiteten Themen an. insbesondere den Dokumentar-Film. Zum Regisseur habe er schon im Vorfeld Kontakt gehabt und die Frage erörtert, ob man Täter und Opfer nach der Tat zusammenführen könne. In Hessen sei die Realisierung des Dokumentarfilm-Vorhabens allerdings nicht möglich gewesen. Gedreht worden sei dann in den USA - "knallharter Knast, muss man sagen" - und auch in Norwegen. Wie man dort - "eine ganz andere Art"- mit den Straftätern umgehe, sei für ihn, Cerny, "sehr, sehr beeindruckend" gewesen. Der Film, blickte der Landesvorsitzende nach vorne, könne dazu führen, sich Gedanken über den Strafvollzug zu machen. Aufgrund seines Eindrucks von der Filmvorstellung in Berlin, wozu er im Dezember mit weiteren Protagonisten eingeladen worden sei, habe für ihn nach Absprache mit allen Siegern festgestanden: "Diesen Film wollte ich sofort hier bei uns auf der Landestagung Ihnen nicht vorenthalten". Horst Cerny schloss seine mit viel Beifall bedachte virtuelle Grußbotshaft mit Blick auf deren Opferarbeit mit den Worten: "Viel, viel Erfolg auf der Landestagung!" Den eigentlichen Auftakt der Landestagung 2015 bildeten am Samstag die traditionellen Ehrungen von Mitgliedern für langjährige ehrenamtliche Tätigkeit im WEISSEN RING Hessen, vorgenommen von Warncke (ASL Frankfurt Ost/West) und Dr. Liesching (AS Fulda) und begleitet von dankbar-anerkennendem Applaus des Auditoriums für die Ehrenamtlichen. Geehrt wurden mit jeweils Urkunden und einem kleinen Präsent: Waltraud Wohlfeil-Schäfer (15 Jahre Mitarbeiterin der AS Marburg-Biedenkopf), Christina von Grumbkow (AS Werra-Meissner-Kreis), Ingrid Schott (AS Frankfurt-Ost), Holger Gerhard (AS Fulda) und Wulf Röder (AS Lahn-Dill-Kreis) - alle Vorgenannten für zehn Jahre Mitarbeit - sowie für fünf Jahre Mitarbeit in ihren Außenstellen beziehungsweise in ihren jeweiligen Funktionen. Dr. Carina Agel (Bundesjugendbeauftragte und Jugendbeauftragte Hessen), Hamta Hedayati (Jugendbeauftragte Hessen), Reinhard Denk (ASL Rheingau-Taunus-Kreis), Wieland Ertl (Mitarbeiter AS Vogelsbergkreis), Hans-Jürgen Schäfer (ASL Marburg-Biedenkopf), Brigitte Hartmann-Laudert (AS Hersfeld-Rotenburg), Monika Schmidt, Gabriele Schuster und Klaus Michl (alle AS Lahn-Dill-Kreis). Die Ehrungen für die beiden stellvertretenden Landesvorsitzenden, Dr. Patrick Liesching und Ulrich Warncke, für zehn Jahre Mitarbeit im Landesverband Hessen nahm Jörg Ziercke, ehemaliger Präsident des Bundeskriminalamtes und zugleich stellvertretender Bundesvorsitzender der Opferschutzorganisation, vor. Was die Geehrten geleistet hätten, finde "höchste Anerkennung auf Bundesebene", sagte Ziercke und überreichte den beiden Jubilaren ein Erinnerungspräsent. In einer gesonderten Glückwunschadresse gratulierte Ulrich Warncke unter großem Beifall der Versammelten Ingbert Koppe, dem Leiter der Außenstelle Lahn-Dillkreis, sehr herzlich für die Verleihung des hessischen Verdienstordens am Bande: "eine Auszeichnung für langjährige ehrenamtliche Tätigkeit, die gleichzeitig auch ein bissel eine Auszeichnung für uns alle ist". Warncke überreichte dem Geehrten ein kleines Überraschungspräsent. Unter anderem habe er auch verschiedene Pressetermine wahrgenommen, sagte Warncke im Bericht des Landesvorsitzenden. Er sprach hier besonders den tragischen Tod von Tugce Albayrak an, bei dem der WEISSE RING auch auf Basis persönlicher Besuche von ihm und Herrn Stauch (Hanau) der Familie Albayrak finanzielle Hilfe habe leisten können. Auch habe sich die Opferschutzorganisation erfolgreich um Psychotherapeuten bemüht, darunter auch diejenigen, die in der Lage gewesen seien, in türkischer Sprache die Therapie durchzuführen. Es sei Anliegen des WEISSEN RINGS, Opfern Angebote zu machen. Diese anzunehmen, bleibe jedoch den Betroffenen überlassen. Wann immer ein spektakulärer Kriminalfall in Hessen und darüber hinaus stattfinde, dann sei es der WEISSE RING, der zuallererst angesprochen werde. Er sei "der" Ansprechpartner für die Presse. Es sei "ein Feld, das Horst Cerny wirklich gut gedüngt und gepflegt hat für uns", würdigte Warncke das umfassende Engagement des langjährigen Landesvorsitzenden insbesondere auch auf dem Sektor Öffentlichkeitsarbeit. Warncke, der zuvor wie auch Jörg Ziercke und Carina Agel an der Bundesvorstandssitzung in Mainz teilgenommen hatte, gab den Tagungsteilnehmern auch hierüber einen kurzen Bericht. Teilgenommen habe er in Vertretung Cernys. Der WEISSE RING verändere sich in einem "rasanten Tempo". Diese "Veränderung tut not", sie sei den europäischen Rahmenbedingungen geschuldet. Im Einzelnen sprach der Vortragende hier die Themenbereiche EU-Richtlinien zum Opferschutz und die Einführung des "Opfertelefons" vor sechs Jahren an. Es sei jetzt eine europaweite Opferrufnummer eingeführt worden. Der WEISSE RING habe "das große Glück" gehabt, diese Rufnummer für den WEISSEN RING reklamieren zu können. Als Nächstes werde auch eine Online-Beratung als gewissermaßen "3. Säule" auf den Weg gebracht werden - neben den ehrenamtlichen Mitarbeitern und dem Opfertelefon -, kündigte Warncke an. Außerdem werde vom Bundesvorstand die Kreierung einer "Muster-Außenstelle" ins Auge gefasst. Beschlossen worden sei auch die Gründung einer WEISSER RING Akademie, einer Fortbildungs-Akademie. Aus seiner fast elfjährigen Praxis als Präsident des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden berichtet dann der Ende 2014 in den Ruhestand getretene Ex-Chef des BKA, Jörg Ziercke (67). Ziercke richtete seinen Fokus vor allem auf seine kriminalistischen Erfahrungen aus Sicht der Sicherheitswahrnehmung und auch aus Perspektive der Kriminalitätsopfer. Er überbrachte auch die Grüße des Bundesvostands und der Bundesvorsitzenden des WEISSEN RINGS. Der Referent streifte zahlreiche Aspekte der gegenwärtig "teilweise dramatischen Umbruchsituation" insbesondere vor dem Hintergrund der Konflikte und Krisen. Bei den Migrantenströmen, so Ziercke, sei viel Einsatz vonnöten von allen, damit dies "unter humanitären Regeln ablaufen" könne. Wichtig, sei daher das Weiterreichen der "Idee des WEISSEN RINGS", nämlich der Opferhilfe, an viele, viele Menschen. Ziercke würdigte auch explizit die Zahl derjenigen, die jedes Jahr für die Opferschutzorganisation spendeten. Insgesamt seien dies 120 000 Menschen, die sich jedes Jahr auf ihre Art für den WEISSEN RING engagierten, darunter 3000 ehrenamtliche Helfer: "Dass soll uns erst mal einer nachmachen". 85 Prozent der Menschen seien mit ihrer Polizei zufrieden und hätten zu dieser Vertrauen. Bei sechs Millionen registrierter Straftaten - das sei gewissermaßen der Arbeitsnachweis der Polizei, sie sei "Weltmeister in der Registrierung von Straftaten" - müsse man aber wissen, hinter jeder Straftat stehe ein Opfer, häufig körperlich, finanziell schwer geschädigt, traumatisiert: "und dann warten diese Menschen auf die Hilfestellung und Unterstützung des WEISSEN RINGS". Leider rangiere das Verbrechensopfer immer noch an zweiter Stelle: "Immer ist der Täter der Erste, der im Blickfeld ist. "Das Opfer dürfe dabei aber nicht vergessen werden. Insgesamt gelte es mit Blick auf die Opfer bei Strafverfahren, dass in der Begleitung der Opferschutz am Menschen so wahrgenommen werde, "das wir ihm mit Sensibilität und Empathie begegnen, was notwendigerweise in einem rechtsstaatlichen Verfahren auch ablaufen muss". Ziercke würdigte hier auch die zunehmende Sensibilitätsentwicklung bei der Polizei, dass auch die Bedürfnisse der Opfer zu berücksichtigen seien. Opferzeugen müssten immer wieder aktiv auf ihre Rechte aufmerksam gemacht werden. Deren Opfererlebnisse dürften nicht zu einer zweiten Viktimisierung werden. Und hier helfe die Begleitung durch die Ehrenamtlichen, dies zu verhindern. Dabei sei es wichtig, das das Gericht auch die Gerechtigkeit, die dem Opfer widerfahren müsse, herausstelle, so Ziercke. "Wir strecken eine helfende Hand dem Opfer gegenüber aus, die aus ihren Ebenen häufig brutal herausgerissen worden sind, um dem Opfer ein normales Leben wieder zu ermöglichen", brachte der Referent die empatische Grundhaltung der Opferschutzorganisation auf den Punkt: "Ich glaube nicht, was sinnerfüllender und zuforders humanitärer ist als die Aufgabe, die Sie hier ablegen". Dr. Carina Agel, Bundes- und Landesjugendbeauftragte der Opferschutzorganisation, und Hamta Hedayati, Landesjugendbeauftragtge Hessen, informierten dann über das "Projekt junge Mitarbeiter". Hier warben sie vor allem auch um Unterstützung aller in ihren Außenstellen. Christine Leuninger stellt die Arbeit des Opfertelefons vor und gab dabei einen ausführlichen Einblick in die Praxis ihrer Arbeit, die sie via Handy von zu Hause aus ausübe. Dabei handele es sich um den Erstkontakt mit den Opfer, mit dem auch andere Hilfsorganisationen betraut seien. Erfreulich sei, dass die Zahl der ehrenamtlichen Beraterinnen und Berater, zumeist Frauen, sich seit kurzem auf 87 erhöht habe, darunter 40 neue frisch Ausgebildete seit Juni 2015. Leuninger hob auch den hohen Qualifikationsstandard ihrer Kollegen vor. Zu vertiefende Themen seien zum Beispiel Stalking, häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Rechtfragen und auch Gespächsführung. Das Opfertelefon mit der Rufnummer 116 006 sei erreichbar an sieben Tagen von 7 bis 22 Uhr. Um den Außenstellen die Vorbereitung für einen neuen "Opferfall" zu ermöglichen, sei es Ziel, dass die zu jedem Gespräch mit einem "Opferbogen" erstellten Dokumentationen in "naher Zukunft" gleichzeitig auch an die jeweils zuständigen Außenstellen weitergeleitet werden könnten. Über das Thema "Ehrenmord" referierte eingehend, dabei die wesentlichen Ergebnisse ihrer Doktorarbeit vorstellend, Dr. Carina Agel. Agel, die an der Universität Gießen am Lehrstuhl von Prof. Dr. Britta Banneberg promovierte, hatte dabei eine strafrechtliche und kriminologische Auswertung vorgenommen Schwerpunkt und zugleich Höhepunkt des zweiten Veranstaltungssonntags war die Vorführung des preisgekrönten Dokumentarfilms "Beyond Punishment" im Fuldaer "Kino Cinestar". Er wurde natürlich von allen Tagungsteilnehmern mit großer Aufmerksamkeit und tiefer emotionaler Wirkung verfolgt. Der Film lässt gleichermassen, und das war grundlegende Intention des Regisseurs im Vorfeld der Filmproduktion, gewissermaßen auf gleicher Höhe, sowohl Täter als auch Opfer zu Wort kommen. Die Filmkritik würdigte den Dokumentarfilm, und dies, wie sich im Verlaufe des Vormittags zeigte, völlig zu Recht als einen außergewöhnlichen Film über Vergebung. Zum Filmhintergrund: An drei unterschiedlichen Orten weltweit werden drei Morde und jeweils ein Opfer und ein Täter vorgestellt. Sie wagen das eigentlich Unvorstellbare: ein behutsames gegenseitiges Sich-Annähern. In Norwegen war es eine Tat aus Eifersucht, in New York die Begegnung des Mörders mit der Mutter und Schwester des Opfers und in Berlin das Bemühen des Sohnes eines 1986 von der RAF ermordeten Beamten, wobei sich der Täter damals nicht zu erkennen gab. "Beyond Punishment" wurde 2015 mit dem Max Ophüls-Preis als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Mehrere fundierte Wort- und Diskussionsbeiträge der Ehrenamtlichen im abgedunkelten Kinosaal, fokussiert insbesondere auf den eigenen Wertekanon der Opferhilfe und bereichert durch sensitive Zusatzerläuterungen von Hubertus Siegert, unterstrichen, wie wertvoll dieser unter die Haut gehende einzigartige Film für die Weiterentwicklung der eigenen Opferhilfearbeit ist. Bevor alle Teilnehmer zum Kinobesuch aufbrachen, bedankte sich Ulrich Warncke bei den Damen im Landesbüro (Elfi Schütz & Brigitte Heinick) für die gute Vorbereitung und Organisation der Landestagung - dies wurde von den Tagungsteilnehmern mit langanhaltendem Applaus bekräftigt. Mit Bedauern über die Erkrankung von Thomas Cavazzini hatte am Abend zuvor Ulrich Warncke zum musikalischen Teil der Landestagung im Rahmen des gemütlichen Beisammenseins übergeleitet. Hier gefiel er eingesprungene Tobias Wessel (Gießen) mit Gesang zu Klängen auf der Gitarre. Die Songs, die der Allein-Entertainer präsentierte, dürften vielen noch gut bekannt gewesen sein. Es waren Akustik-Rock, Blues und Balladen der 70er und 80er Jahre, die er mit sichtlicher Spielfreude coverte und dabei auch die Zuhörer verschiedentlich zum Mitsingen animierte. (Bericht & Fotos:Prof. Dr. Ingfried Stahl) Hinweis: zur Fotogalerie der Landestagung 2015Landestagung 2015 im Holiday Inn in Fulda